Mitschrift Pressekonferenz
im Wortlaut
Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel und dem italienischen Ministerpräsidenten Renzi
in Florenz
Sprecher: Bundeskanzlerin Angela Merkel, Ministerpräsident Matteo Renzi
(Die Ausschrift des fremdsprachlichen Teils erfolgte anhand der Simultanübersetzung)
MP Renzi: (Aufgrund einer technischen Störung konnten die ersten Worte des Ministerpräsidenten nicht dokumentiert werden)
... hier in Florenz bei diesem wichtigen Treffen, das die Folge eines Wunsches war, gemeinsam die G7-Präsidentschaft Deutschlands in den Vordergrund zu stellen und über all die Herausforderungen zu sprechen, die auf uns warten. Wir haben entschieden, dies in einer Stadt zu machen, die im Zeichen der Schönheit steht. Ich glaube, dass dieses Symbol hier hinter uns viel von dem darstellt, was Europa heute sein kann, und zwar nicht nur aufgrund der Symbolkraft, die von einem David ausgeht, der gegen Goliath kämpft, sondern auch, weil es ein Symbol der Schönheit darstellt. Es ist Teil der Herausforderung, die auf uns wartet.
Wir sprechen immer nur von Wirtschaftsfragen. Wir machen es, ihr macht es als Journalisten. Die Meinungsmacher und die leitende Klasse machen es. Aber es gibt einen Punkt, wo Europa sehr stark sein kann, auch weltweit. Das inspiriert, das ist wertestiftend. Wir haben das gesehen, als wir gemeinsam und Hand in Hand vor zwei Wochen nach dem schrecklichen Angriff auf Charlie Hebdo gemeinsam durch die Straßen von Paris gegangen sind. Da haben wir gesehen, dass Europa vor allem ein Ideal darstellt. Es muss als solches verteidigt und gefördert werden.
Daher sind Angela und ich überzeugt - wir haben das gestern noch einmal betont, als wir gemeinsam im Palazzo Vecchio in dem Saal zu Abend gegessen haben, wo die Familie Medici das Volk erwartet hat, neben dem Arbeitsraum von Machiavelli und den Schönheiten von Florenz -, dass wir gemeinsam die Narrationen in Europa ändern müssen, wir wieder die Jungen begeistern müssen, und zwar nicht nur mit Diskussionen über Wirtschaftsfragen oder über bürokratische Angelegenheiten, sondern mit Idealen und Dingen, mit denen man direkt das Herz der Leute ansprechen kann. Ich verpflichte mich also, mein Bestes zu tun, liebe Angela, auch als Vertreter des Landes Italien. Ich glaube, dass das Einzige ist, was wir machen können, um das Risiko zu bekämpfen, das darin besteht, dass es viele gibt, die die Einheit Europas und seine Grundwerte bekämpfen und zerstören wollen, um eben die Narration zu ändern.
Sie alle werden sicherlich, vermute ich, neugierig in Bezug auf das sein, was uns nach den Ereignissen der letzten Monate bedrückt. Im letzten Monat ist der Plan für europäische Investitionen von Jean-Claude Juncker vorgeschlagen worden. Darüber haben wir gemeinsam im Europäischen Rat gesprochen. Dann haben wir gehört, was die Kommission gestern über die Flexibilität gesagt hat. Wir haben gehört, was die Europäische Zentralbank bezüglich des „Quantitative Easing“ entschieden hat. Wir haben auch gesehen, wie sich der Euro recht tapfer schlägt, auch im Vergleich zum Dollar. Diese vier Faktoren - Investitionsplan, Flexibilitätskommunikation, Euro-Dollar und „Quantitative Easing“- sind sehr wichtige Themen, die innerhalb des letzten Monats über Bühne gegangen sind.
Vielleicht haben wir hier nicht immer dieselben Standpunkte bezüglich der Wirtschaft, weil wir ja aus verschiedenen politischen Lagern kommen und auf eine andere Vergangenheit zurückblicken können. Aber wichtig sind doch diese ersten positiven Zeichen, die gesetzt worden sind. All diese Veränderungen, die die europäische Wirtschaftspolitik jetzt erlebt, dürfen uns aber nicht von dem Reformkurs abbringen, den diese Länder eingeschlagen haben. Ich spreche natürlich von meinem Land und nicht von den anderen Ländern.
In den letzten Monaten haben wir verschiedene Reformen begonnen und manche auch fast abgeschlossen: Wahlrecht, Verfassungsreform, Spielregeln, was die Arbeitswelt betrifft, Zivilgerichtsbarkeit, Steuern, öffentliche Verwaltung, und bis zum 20. Februar wird es noch wichtige Änderungen bezüglich Schulwesen und Forschung und Innovation geben. Wir machen das nicht, weil Europa es verlangt, sondern weil es richtig ist. Wir machen das für unsere Kinder und Kindeskinder. Dieser Reformweg, der beschritten worden ist, wird nicht nach den Entscheidungen auf europäischer Ebene blockiert, sondern man muss noch nachlegen und mit Nachdruck weitermachen.
Wir gehen ja davon aus, dass wir Europa sind, dass wir also auf eine Geschichte zurückblicken können, wo einem nur schwindelig werden kann, wenn man sie sich ansieht. Wir wollen also auch unseren Kindern und Kindeskindern etwas Schöneres, noch Größeres und noch Bedeutungsvolleres überlassen. Europa bedeutet nicht nur Gesetze und Bürokratien, sondern vieles mehr. Daher bin ich Angela dankbar dafür, diese Stunden gemeinsam mit uns hier verbracht zu haben, auch vor dem Hintergrund der Kultur.
Damit komme ich zum Abschluss. Die Großartigkeit dieser Stadt und des Kulturgutes der Stadt ist auf viele zurückzuführen: Michelangelo, Leonardo da Vinci, Vasari. Wir haben also die Großartigkeit der Kunst in Florenz gesehen. Es gab eine Frau, die Kurfürstin der Pfalz, die die letzte Vertreterin der Familie Medici war und einen deutschen Kurfürsten geheiratet hat. Im 18. Jahrhundert, als die Familie Medici keine Nachfolger mehr hatte und faktisch zum Aussterben verurteilt war, hat sie ein Testament aufgesetzt. Sie hat gesagt, dass all ihre Kulturgüter Kulturgüter der Stadt Florenz werden mussten, um immer in der Stadt zu bleiben und damit die Kultur von allen Florentinern genossen werden kann und identitätsstiftend für Florenz wirken kann.
Ich bin sicher, dass, was die Identitätsstiftung angeht, auch der G7-Vorsitz Deutschlands sehr wichtig ist, damit wir uns alle in diese Richtung fortbewegen. Gemeinsam werden wir die schwierigen Herausforderungen angehen können. Nicht mit einer Schleuder wie David gegen Goliath, sondern gewappnet mit der Schönheit und der Kunst, die, wie einmal gesagt worden ist, die Welt retten kann. Ich weiß nicht, ob wir die Welt retten können, aber Europa sicherlich.
Danke vielmals, Angela, dass du bei uns warst. Jetzt hast du das Wort.
BK’in Merkel: Lieber Matteo, ich möchte mich erst einmal ganz herzlich bedanken, dass du mich und uns hier in deiner Heimatstadt empfangen hast. Das ist überwältigend: die Kulisse, vor der wir hier stehen, aber auch gestern Abend das Abendessen und der Gang durch die Uffizien. Das zeigt: Europa hat nicht mit uns begonnen und wird auch mit uns nicht aufhören, sondern es gibt eine lange Tradition, die durch Kultur geprägt ist. Italien - und gerade Florenz - ist natürlich geradezu ein symbolischer Ort, um all das, was Europa ausmacht, um all das, was unsere gemeinsamen Werte sind, wirklich auch zu versinnbildlichen und zu verdeutlichen.
So, wie vor Jahrhunderten Menschen das in die Hand genommen und etwas Wunderbares geschaffen haben, von dem wir heute noch zehren, so ist es eben auch unsere Aufgabe - darüber haben wir gesprochen -, uns nicht in Europa im Klein-Klein zu verlieren, sondern immer wieder die Geschichte zu erzählen, was Europa an Mehrwert für die Menschen hat. Das kann und darf nicht Bürokratie sein, sondern das müssen mehr Möglichkeiten zusätzlich zu dem sein, was jeder bei sich zu Hause macht.
Wir haben sehr ausführlich über die Reformagenda gesprochen, die der Ministerpräsident, die Matteo Renzi aufgesetzt hat. Ich möchte diese Gelegenheit hier nutzen, um zu sagen, dass das ein unglaublich ambitioniertes Reformprogramm ist. Ich schätze besonders, wenn ich das so sagen darf, dass eben nicht der Eindruck erweckt wird „Wir machen das, weil Brüssel oder irgendjemand anderes das gesagt hat“, sondern weil es gut für die Menschen in Italien ist, weil es Arbeitsmöglichkeiten schaffen wird, weil es Betätigung geben wird, weil es der Jugend wieder eine Hoffnung geben wird und weil es den Menschen wieder Sicherheit geben wird. Das ist das, was wir brauchen. Deshalb wünsche ich bei allen Widerständen, die sich natürlich im politischen Prozess ergeben, Matteo Renzi wirklich allen Erfolg, der möglich ist. Ich glaube, dass einige der Reformen sehr schnell ihre Wirkung entfalten werden, gerade was das Arbeitsrecht, aber auch die Reform der Verwaltung anbelangt.
Ich habe heute Früh mit deutschen Unternehmern, die hier in Italien zu Hause sind und hier schon viele Jahre für deutsche Firmen arbeiten, gefrühstückt. Sie alle waren ganz optimistisch, dass es gut ist, was jetzt passiert, und dass das schon erste Impulse zeigt. Sie wollen diesen Kurs unterstützen. Ich glaube, das ist auch ein ganz wichtiges Signal, denn letztlich schaffen wir nicht als Staaten wieder neue Arbeitsplätze, sondern letztlich schaffen die Unternehmen Arbeitsplätze, indem sie etwas Interessantes herstellen und tun. Ich glaube, es gibt sehr, sehr enge Beziehungen zwischen der deutschen und der italienischen Wirtschaft. Manchmal wird gar nicht ausreichend darüber gesprochen, aber wir haben einen sehr intensiven Handelsaustausch und wir haben vor allen Dingen auch sehr intensive Verbindungen.
Wir haben hier dann natürlich über die europäischen Maßnahmen gesprochen. Ich will ausdrücklich unterstreichen, dass der Vorschlag von Jean-Claude Juncker für ein Investitionsprogramm eine wichtige Funktion hat und dass es jetzt an uns ist, hier auch Projekte zur Durchführung zu bringen, mit denen wir dann auch wieder eine Geschichte erzählen können: Wie kommt Europa in der digitalen Welt voran? Wie können wir die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen?
Wir haben über die deutsch-italienische Zusammenarbeit gerade in den Dossiers der Telekommunikation gesprochen. Die italienische Präsidentschaft hat hier einiges vorangebracht und das muss jetzt unter lettischer Präsidentschaft fortgesetzt werden. Italien und Deutschland werden hier sehr intensiv die Dinge unterstützen.
Ich glaube, dass gerade angesichts der sehr niedrigen Zinssätze im Augenblick natürlich die Zeit sehr gut ist, um Reformen durchzuführen. Ich bin sehr davon überzeugt, dass Italien diese Möglichkeit auch intensiv nutzt.
Wir haben darüber gesprochen, wie Deutschland sich die G7-Präsidentschaft vorstellt. Es gibt eine große Übereinstimmung über die Themen, die uns wichtig sind. Das ist einmal das Energiethema. Es geht im Bereich der Gesundheit um die Lektionen, die wir aus der Ebola-Katastrophe gelernt haben, aber auch um Antibiotikaresistenzen. Italien wird sich an der Wiederauffüllungskonferenz des Globalen Impffonds GAVI beteiligen. Italien unterstützt sehr unsere Bemühungen, die Selbstständigkeit von Frauen und auch die berufliche Ausbildung von Frauen zu verstärken. Ich meinerseits habe zugesagt, dass wir die G7-Präsidentschaft auch nutzen werden, um uns gerade mit der Situation zum Beispiel in Libyen zu befassen, weil dies im Blick auf die Flüchtlinge eine große Herausforderung gerade für Italien, aber schlussendlich für uns alle in der Europäischen Union ist.
Natürlich haben wir uns auch über das Thema Russland/Ukraine unterhalten. Ich glaube, dass hier die Einschätzung gleich ist. Wir müssen alles daransetzen, um auf diplomatischem Wege voranzukommen. Jeden Tag sterben unschuldige Menschen, und das ist ein unbefriedigender Zustand. Unser Angebot an Russland heißt immer wieder, diplomatische Lösungen zu suchen - es gibt genau das gleiche Angebot an die Ukraine -, aber gleichzeitig natürlich die Dinge beim Namen zu nennen, wo Verletzungen des internationalen Rechts stattgefunden haben.
Alles in allem für die Kürze der Zeit ein sehr intensiver Besuch. Herzlichen Dank! Ich bin sehr davon überzeugt, dass es das bessere Verständnis zwischen unseren Ländern voranbringen wird und dass Italien und Deutschland in vielen Fragen die gleichen Vorstellungen von einem geeinten Europa haben. Insofern noch einmal Dank, dass ich nicht nur in die Hauptstadt kommen durfte, sondern hier nach Florenz in die Stadt, die dich, deine politische Laufbahn auch sehr stark geprägt hat. Das ist ein wunderbares Erlebnis.
MP Renzi: Danke, Angela. Das nächste Mal in Verona oder in Palermo. Wir müssen darüber noch eine endgültige Entscheidung treffen.
Frage: Herr Präsident, ich möchte gerne wissen, wie Sie die außergewöhnliche Entscheidung Mario Draghis von gestern einschätzen und ob dies Hand in Hand mit einem (akustisch unverständlich) aufseiten der Investitionen gehen muss, wie Sie gesagt haben.
Eine Frage, was die Innenpolitik und die Vollendung der Reformen anbetrifft. Glauben Sie, dass das wirklich ein Wendepunkt für unser Land darstellt?
(Die Frage an die Bundeskanzlerin wurde nicht übersetzt)
MP Renzi: Ein wichtiger Fortschritt, aber kein entscheidender. Es wäre wirklich falsch, zu glauben, dass, um aus der Stagnation, der Deflation herauszufinden, eine einzige Maßnahme ausreichend ist. Ich glaube, es ist richtig, dass die Europäische Zentralbank - ich sage das vor dem Hintergrund ihrer Unabhängigkeit - die gestrige Entscheidung so getroffen hat. Ich glaube, das sind Entscheidungen, die faktisch einstimmig beziehungsweise mit einer außergewöhnlich großen Mehrheit getroffen worden sind. Wir sind also sehr zufrieden. Aber eine Entscheidung reicht nicht, um Europa zu ändern.
Ich wiederhole es noch einmal: Es gibt vier Faktoren, die in den letzten Monaten auf dem Plan stehen: Junckers Investitionsplan, Kommunikationsflexibilität „Quantitative Easing“ und Euro-Dollar-Wechselkurs, faktisch die Folge dieser drei anderen Faktoren. Aber ich möchte mit Klarheit sagen: Für mich selbst, für meine Regierung, die Opposition und überhaupt für alle politischen Kräften Italiens bedeutet das, was in Frankfurt, in Brüssel in Straßburg auf den internationalen Märkten bezüglich Änderungen geschehen ist, dass wir noch schneller voranzugehen haben, mit noch mehr Entschlossenheit an die Sache herangehen müssen. Italien muss sozusagen den fünften Gang einlegen. Es ist wichtig, dass die Reformen zügig voranschreiten, wie das in den letzten elf Monaten der Fall war, wenn wir bedenken, wie der Morast in der Vergangenheit ausgesehen hat. Einige sind schon wirklich abgeschlossen, andere Reformen sind dabei, abgeschlossen zu werden. Wir müssen das Ganze aber noch weiter beschleunigen, denn es wäre wirklich ein Riesenfehler zu glauben: Es gibt die Investitionen, es gibt „Quantitative Easing“, es gibt die Flexibilitätskommunikation und wir können uns sozusagen auf unseren Lorbeeren ausruhen und herunterschalten. Nein, keineswegs. Wir müssen mit mehr Nachdruck vorangehen.
Für mich sind die Reformen der Verwaltung und die Wahlrechtsreform besonders wichtig. Ich habe gestern Angela scherzhaft gesagt, dass Sie dasselbe Wahlrecht wie wir verwenden sollte. Aber zunächst einmal machen wir das Wahlrecht für uns und Deutschland wird sich so verhalten, wie es das für richtig hält. Es ist wichtig, wenn man per Wahlrecht einen klaren Sieger ermitteln kann.
Der Bereich Justiz ist ebenfalls sehr wichtig, aber für mich ist die Schulreform noch wichtiger. Die wichtigste Strukturreform - damit komme ich auch schon zum Abschluss - ist, an die eigene Zukunft zu glauben. Zu viele Italiener haben Angst und glauben, dass die Dinge nicht richtig klappen und funktionieren. Deshalb wollen sie nur wenig ausgeben. Die Strukturreform wird darin bestehen, den Italienern das Vertrauen zurückzugeben. Wir werden das machen, ohne auch nur einen Millimeter zurückzuweichen und indem wir noch rascher vorangehen werden.
BK’in Merkel: Aus meiner Sicht ist es so, dass die Europäische Zentralbank ihre geldpolitischen Entscheidungen unabhängig fällt. Deshalb kommentieren wir das in Deutschland auch nie - nicht so herum und nicht so herum.
Für mich als Politikerin - ich habe das gestern schon gesagt - ist vor allen Dingen wichtig, dass wir nicht denken, dass die Politik nicht mehr das Notwendige zu tun braucht. Ich bin ausgesprochen beruhigt über das, was in Italien jetzt stattfindet. Hier wird reformiert, hier werden die Schritte abgearbeitet. Daraus entsteht auch wieder Vertrauen im politischen Bereich. Keine Zentralbank dieser Welt wird Politik ersetzen können, sondern Politik muss ihre Verantwortung selber wahrnehmen. Das, was hier an Reformen in allen Bereichen, aber vor allen Dingen auch psychologisch gerade auf dem Arbeitsmarktbereich geschieht, ist ganz wichtig. Die deutschen Unternehmer haben heute gesagt, dass sie jetzt Menschen einstellen können, dass sie jetzt die Bedingungen kennen und keine Angst haben, dass sie, wenn etwas passiert, unkalkulierbare Kosten haben. Diese Bestimmtheit, dieses Vertrauen - ich weiß, was passiert - wird dazu führen, dass mehr Arbeitsplätze entstehen. Ich glaube, dass wir angesichts der Beschlüsse noch klarer alles beiseite räumen müssen, alle Bürokratie beiseite räumen müssen, die Wachstum entgegensteht - ob das bei uns zu Hause ist oder ob das in Brüssel ist. Da werden wir gemeinsam im Sinne dieser Erzählung über Europa sehr eng zusammenarbeiten.
Frage: Frau Bundeskanzlerin, Sie stehen unter dem David von Michelangelo. In Deutschland wird über die Verteidigung des Abendlandes und seiner Werte gesprochen. Welche Rolle spielt Italien, Florenz in dieser Diskussion in Deutschland, die vielleicht gar nicht allen Menschen klar ist?
Die zweite Frage ist natürlich eine Frage zur Entscheidung der Europäischen Zentralbank. Sind Sie guter Hoffnung, Frau Bundeskanzlerin, dass der Reformeifer in Italien, aber vielleicht auch in Griechenland durch diese Entscheidung nicht nachlässt? Wie werden Sie unsere deutschen Mitbürger und andere Europäer, die das kritisch sehen, beruhigen können? Was nehmen Sie aus Italien mit?
Meine Frage an den Ministerpräsidenten - die Frage bezüglich David erspare ich Ihnen -: In Deutschland, aber auch in anderen Ländern glaubt man, dass sozusagen die heiße Dusche, die sich aus Frankfurt über den Euro ergießt, nun den Reformeifer in Italien und anderen Ländern etwas einschränken wird.
BK’in Merkel: Ich habe sehr ausführlich mit Matteo Renzi über alle Schritte des Reformprogramms gesprochen. Wir haben uns angewöhnt, dass es, wann immer wir uns sehen, ein Booklet gibt, das Matteo Renzi bei sich trägt, sodass er mir immer sagen kann, welcher Reformschritt sich gerade in welchem Stadium befindet. Ich kenne mich inzwischen schon recht gut mit den verschiedenen Schritten der italienischen Rechtssetzung aus. Ich habe keinen Zweifel daran, dass das, was Matteo Renzi sich mit seiner Regierung vorgenommen hat, auch umgesetzt werden kann, und zwar, wie ich finde, in einem ziemlich beeindrucken Tempo. Das wird nicht auf die lange Bank geschoben, sondern hier sind sehr, sehr viele Entscheidungen gefällt worden und Schritt für Schritt wird das implementiert, was man politisch beschlossen hat.
Insofern habe ich, was Italien angeht, nicht den Eindruck, dass die Entscheidung der Europäischen Zentralbank dazu führen könnte, dass Italien sagt: Jetzt brauchen wir nicht mehr zu reformieren. Ich sage aber: Das muss auch für alle gelten. Darauf werden wir in den nächsten Wochen und Monaten achten.
In der Tat steht David hinter uns. Das erinnert noch einmal an die Zeit der Renaissance in Europa, an die Zeit, in der dieses Europa aus einem Mittelalter aufgeblüht ist, in dem wir alles andere als die Fortschrittlichsten der Welt waren. Damals war Europa sehr zurückgefallen. Die Offenheit, die Neugier, das Bekenntnis zum Schönen, aber auch das Bekenntnis zu dem, was Menschen schaffen können, hat damals für ganz Europa eine unglaubliche Blüte hervorgebracht. Europa ist dann über Jahrhunderte auf der Welt bestimmend gewesen, hat nicht nur mit der Industriealisierung Trends gesetzt, sondern auch in den Bereichen Kunst, Wissenschaft und Kultur.
Was lernen wir daraus? Wir lernen aus der Zeit des Mittelalters, dass es nicht so sein muss, dass Europa bestimmend auf der Welt ist. Wir erleben ja heute, dass andere Kontinente nicht schlafen, dass Asien sich nach vorne bewegt, dass die Amerikaner sehr dynamisch sind. Wir erleben aber auch, dass es in Italien und anderswo geschafft wurde, dass wir die weltbestimmenden Erfindungen machen konnten, dass wir ein Menschenbild mit geformt haben, bei dem der Mensch nicht nur frei ist, sondern auch Verantwortung zu übernehmen hat. Das wieder zu leben, ist, glaube ich, unsere Aufgabe und das auch für unsere Generation und unsere Kinder und Enkel durchzusetzen.
MP Renzi: Ich glaube, ich habe Ihnen schon geantwortet. Wir sind absolut überzeugt, dass wir jetzt beschleunigen müssen, was unsere Reformen betrifft. Es ist nicht so leicht, das in Italien aufgrund der traditionellen Herangehensweise zu bewerkstelligen, die vorsieht, dass man immer alles langsam macht. Wir gehen aber rasch an die Dinge heran. Für uns ist das Tempo wichtig, denn je früher wir mit dieser strukturellen Reform fertig sind, können wir das ganze System stabil gestalten. Im Jahr 2015 werde ich mir keine Meinungsumfragen ansehen, sondern wir werden auf das Ziel hin arbeiten. In wenigen Wochen und Monaten wird ein Großteil der Reformen durchgeführt sein.
In Bezug auf David kann man Folgendes sagen, auch wenn das vielleicht nicht Ihre Frage war:
Wissen Sie, was Michelangelo geantwortet hat, als man ihn gefragt hat, wie er es geschafft habe, dieses phantastische Kunstwerk zu schaffen? Michelangelo war, wie alle Florentiner etwas eigenartig, ein komischer Kauz. Er hat gesagt: Es war ganz leicht. Es hat gereicht, den Marmor zu entfernen, der überflüssig war.
Das ist genau das, was wir jetzt mit den Reformen in Italien machen. In Italien muss man nicht Gott weiß was ändern, sondern man muss einfach das beseitigen, was überflüssig ist, vor allem in der Bürokratie. Seien Sie beruhigt, dass (technische Störung) So gesehen ändert die EZB-Entscheidung überhaupt nichts daran. Sie ändert schon etwas daran, und zwar in dem Sinne, dass wir noch schneller sein müssen.
Frage: Ich habe zwei ganz kurze Fragen an Sie beide.
Die erste Frage zur EZB. Glauben Sie, dass man in Bezug auf die Vergemeinschaftlichung des Risikos hätte mehr machen müssen?
Zur Wahl in Griechenland. Könnte sich der Sieg von Herrn Tsipras negativ auf den Euro und die Eurozone auswirken? Glauben Sie, dass man eventuell über die Staatsverschuldung verhandeln könnte?
MP Renzi: Das sind nicht zwei kurze Fragen, sondern das ist eine Enzyklopädie, die Sie da gestellt haben. Man kann kurz darauf antworten: Man kann immer mehr machen. Aber was gemacht werden muss, hat man gemacht. Jetzt müssen wir die Ärmel hochkrempeln und arbeiten. Das zu dem, was die EZB betrifft.
Was Griechenland betrifft, bin ich keineswegs besorgt über eventuelle Wahlergebnisse, vor allem, wenn es darum geht, zu sehen, wie sich die Bürger bei freien Wahlen entscheiden. Ab nächster Woche werden die 27 Partner mit der neuen Regierung oder mit dem derzeitigen Ministerpräsidenten, falls er in seinem Amt bestätigt werden sollte, mit großer Bereitschaft und vor dem Hintergrund des Weges, der gemeinsam mit Griechenland schon eingeschlagen worden ist, zusammenarbeiten. Ich glaube, der griechische Weg wird mit allen anderen Partnern mit großer Ruhe und mit Überzeugung so eingeschlagen werden, dass Griechenland weiter zu Europa gehören wird.
BK’in Merkel: Zu den Details der Entscheidung der EZB - ich hatte es ja schon gesagt - nehme ich nicht Stellung, weil die EZB das unabhängig macht. Deshalb kann ich dazu nichts weiter sagen.
Was Griechenland anbelangt, kann ich mich Matteo Renzi anschließen. Wir warten die Wahlen ab. Die griechische Bevölkerung wird frei und unabhängig wählen. Dann werden wir ins Gespräch mit der Regierung kommen, die gewählt ist oder die es heute schon gibt, und werden darüber sprechen, wie wir den Weg fortsetzen. Griechenland hat einen sehr schwierigen Weg, einen Weg, der auch Opfer verlangt, zurückgelegt, hat immer das eingehalten, was die Grundlage unserer Abmachungen ist: Solidarität der Euro-Mitgliedstaaten mit Griechenland auf der einen Seite und eigene Anstrengungen auf der anderen Seite. Diese Dualität, diese zwei Seiten ein und derselben Medaille, werden auch in Zukunft den Weg bestimmen. Ich bin mir ganz sicher, dass wir in aller Ruhe Lösungen finden.
Frage: Eine Frage zur Russland an die Bundeskanzlerin. Sie haben einen gemeinsamen Handelsraum von Europa und Russland ins Gespräch gebracht. Wie genau soll der aussehen und was sind die Bedingungen dafür?
BK’in Merkel: Ich habe Folgendes gesagt:
Erst einmal müssen wir das Minsker Abkommen implementieren. Dazu hat es ein Gespräch der Außenminister im Normandie-Format in dieser Woche gegeben. Wir brauchen jetzt dringend ein Treffen der Kontaktgruppe, damit nicht nur auf dem Papier etwas steht, sondern auch damit wirklich schwere Waffen abgezogen und der Waffenstillstand wiederhergestellt wird, der in den letzten Tagen nicht mehr in dem Maße existierte, wie das einige Wochen vorher der Fall war.
Ich habe gesagt: Wenn man sich die Gesamtbeziehungen zwischen Russland und der Europäischen Union ansieht - das habe ich auch nicht zum ersten Mal gesagt -, dann kann man sich vorstellen, dass, wenn gerade diese Probleme mit der Ukraine ein Stück weit gelöst sind, natürlich auch zwischen der Europäischen Union und der jetzt gegründeten Eurasischen Union Gespräche über Handelsfragen stattfinden, in denen man dann auch die Assoziierungsfragen Ukraine/EU oder Moldawien/EU oder anderer vielleicht besser bearbeiten kann. Im Augenblick gibt es eine Vielzahl von Barrieren, Sanktionen und vor allen Dingen Handelsblockaden, gerade zwischen der Ukraine und Russland, obwohl wir noch ein Jahr Zeit haben, über die Handelsfragen zu sprechen. Das muss im gegenseitigen Interesse für Russland und die Ukraine überwunden werden. Ich könnte mir da vorstellen, dass solche Gespräche Sinn machen. Ich weiß, dass wir natürlich auch in der Europäischen Union erst einmal darüber sprechen müssen. Aber von meiner Seite aus wäre das eine gute Möglichkeit.
MP Renzi: Auch ich hoffe, dass es bald wieder positive Lösungen geben kann, was den Konflikt Russland-Ukraine betrifft. Wir haben lange Diskussionen, auch sehr harte Diskussionen geführt. Aber am Ende ist immer die Einheit der Europäischen Union wie auch der G7-Staaten und natürlich mit unseren amerikanischen Freunden und Verbündeten in den Vordergrund gestellt worden. Ich glaube, dass das auch dieses Jahr sehr wichtig sein wird, um Lösungen auszuarbeiten, auf die Angela soeben hingewiesen hat.
Ich möchte mich nochmals bei Ihnen allen bedanken, dass Sie anwesend waren. Ein besonderer Dank geht an Angela. In den nächsten Wochen, Monaten müssen wir gemeinsam viel abspulen. Ich glaube, dass wir nicht nur weiterhin unsere Augen voll mit dieser Schönheit haben werden, sondern auch mit der Freundschaft zwischen Deutschland und Italien, die sehr wichtig ist, die aber in den nächsten Jahren noch viel schöner und wichtiger sein wird. Danke vielmals und einen schönen Tag. Danke vielmals, Angela.
Freitag, 23. Januar 2015