G7-Gipfel

Im Wortlaut: Schmidt

Antibiotikareduzierung hat höchste Priorität

Datum 18.12.2014

Die Bundesregierung will ihre G7-Präsidentschaft dafür nutzen, das Thema Antibiotika-Resistenzen global anzugehen. Das sagte Bundeslandwirtschaftsminister Schmidt in einem Zeitungsinterview. Den Einsatz von Antibiotika will er auf den Prüfstand stellen - in der Human- und Tiermedizin.

Christian Schmidt, Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL). Schmidt: "Ziel muss es sein, nicht in eine Zeit vor der Entdeckung des Penicillins zurückzufallen." Quelle: BMVEL/photothek.net/Thomas Koehler

Das Interview im Wortlaut:

Die Zeit: Herr Minister, wie beurteilen Sie den massenhaften Einsatz von Antibiotika in der Massentierhaltung mit der damit verbundenen Problematik von antibiotikaresistenten Keimen?

Christian Schmidt: Das Thema hat bei mir allerhöchste Priorität. Unser Ziel muss es sein, nicht in eine Zeit vor der Entdeckung des Penicillins zurückzufallen. Deswegen muss der Einsatz von Antibiotika insgesamt auf den Prüfstand, und ich sage ausdrücklich: sowohl in der Humanmedizin als auch in der Tiermedizin. Wir müssen die Dissonanzen zwischen Humanmedizinern und Tiermedizinern auflösen. Es bringt gar nichts, wenn der eine mit dem Finger auf den anderen zeigt. Wir haben eine gemeinsame Aufgabe, der Befund lautet salopp: "Houston, wir haben ein Problem." Wie wichtig uns das ist, können Sie daran ablesen, dass die Bundesregierung ihre G7-Präsidentschaft nutzen wird, um das Thema global anzugehen.

Die Zeit: Bundeskanzlerin Angela Merkel hat Ende November im Bundestag gesagt: "Ich begrüße ausdrücklich eine Reduzierung des Einsatzes von Antibiotika vor allem bei der Nutztierhaltung."

Schmidt: Sie sehen, wie sich die Bundesregierung positioniert. Ich betrachte das ausdrücklich als ein Gemeinschaftswerk von Gesundheitsminister Gröhe und mir. Wir haben vor wenigen Monaten in Vorbereitung der G7-Präsidentschaft eine gemeinsame Arbeitsgruppe gegründet, ich habe mich wiederholt mit ihm zusammen persönlich eingeschaltet, wir haben die strategischen Ansätze besprochen. Also, es ist ein Stück Chefsache, wenn man diesen etwas abgegriffenen Terminus verwenden will.

Die Zeit: Können Sie als Minister überhaupt was tun?

Schmidt: Natürlich. Erst in diesem Jahr ist das novellierte Arzneimittelgesetz in Kraft getreten. Das gibt uns die Möglichkeit, den Einsatz von bestimmten Antibiotika, die für die Humanmedizin von besonderer Bedeutung sind, in der Nutztierhaltung zu untersagen. Mit der Gesetzesnovelle hat der Bund die Kontrollbefugnisse der zuständigen Länderbehörden wesentlich erweitert, und wir haben erstmals ein Antibiotikaminimierungskonzept im Gesetz verankert. Damit werden die Mastbetriebe identifiziert, deren Antibiotikaverbrauch auffallend hoch ist, und von der Kontrollbehörde zu konkreten Maßnahmen verpflichtet, um diesen Verbrauch zu senken. Mein erklärtes Ziel ist es, den Antibiotikaverbrauch in der Tierhaltung insgesamt auf das absolut unerlässliche Maß zu reduzieren, und ich bin überzeugt: Dieses Ziel können wir mit dem Antibiotikaminimierungskonzept erreichen.

Die Zeit: Können Sie eine Größenordnung nennen, welche Dimension der Antibiotikareduzierung Sie anstreben?

Schmidt: Wichtig ist das Ziel, und das lautet: Eine nachhaltige Reduzierung erreichen. In Mastställe gehören nur Antibiotika, die zur Behandlung erkrankter Tiere erforderlich sind. Wir haben uns bewusst dagegen entschieden, eine konkrete Zahl als Ziel festzulegen. Wenn wir allein nach der Tonnenzahl entscheiden, was zu viel ist, laufen wir Gefahr, dass antibiotische Stoffe mit einer höheren Wirksamkeit eingesetzt werden, nur um unter dem Strich die Menge zu reduzieren.

Die Zeit: Diese Tricks werden ja bereits angewendet: Es wird vermeldet, der Antibiotikaverbrauch sei um 15 Prozent gesenkt worden, bei genauerem Blick stellt sich aber heraus, dass vor allem die Dosierungen gestiegen sind.

Schmidt: Unser Ziel muss es sein, den adäquaten Wirkstoff an der Stelle einzusetzen, wo er unbedingt erforderlich ist – nicht weniger, aber vor allem nicht mehr. Übrigens dürfen wir auch nicht aus den Augen verlieren, dass ein erkranktes Tier schon aus Tierschutzgründen einer Behandlung bedarf. Die können wir ihm nicht verwehren, weil möglicherweise die Statistik dagegenspricht.

Die Zeit: Herr Minister, Sie sagen: "Houston, wir haben ein Problem." Haben Sie das Gefühl, dass diese Erkenntnis schon überall angekommen ist? Wir haben da unsere Zweifel, wenn wir uns die teilweise heftigen Proteste verschiedener Bauernvertreter gegen unsere ZEIT- Serie anschauen.

Schmidt: Es bringt nichts, wenn ich mich auf die Suche nach Schuldigen mache. Es geht um eine gewisse Sorglosigkeit in der gesamten Gesellschaft, was den Umgang mit Antibiotika betrifft. Und leider finde ich diese Sorglosigkeit sowohl in der Tier- als auch in der Humanmedizin. Die Herausforderung ist nun, diese Sorglosigkeit in eine angemessene Besorgnis umzuwandeln. Das können wir mit Gesetzen und Verordnungen machen, und das werden wir auch. Aber noch wichtiger ist eine Bewusstseinsänderung. Und ich sage Ihnen, bei den Bauern hat diese angefangen, davon bin ich nach vielen Gesprächen fest überzeugt. Die Bauern haben bereits vor unserer Gesetzesnovelle ein System entwickelt, das sie für die eigenen Kontrollen ihrer Betriebe nutzen. Die Sensibilität für die hohe Bedeutung, die Antibiotikaresistenzen haben, ist also vorhanden. Letztlich ist auch der Landwirt darauf angewiesen, dass ihm noch wirksame Medikamente zur Verfügung stehen, wenn seine Tiere so krank sind, dass sie sie benötigen.

Die Zeit: In der Humanmedizin gibt es Ärzte und Apotheker, in der Tiermedizin nur Tierärzte, die Arzneien verschreiben und genau dadurch oft kräftig verdienen, auch mithilfe von höchst umstrittenen Rabattsystemen. Wie sehen Sie das?

Christian Schmidt: Sie meinen das Dispensierrecht. Auch diese Praxis steht auf dem Prüfstand. Wir haben die Diskussion darüber mit Fachleuten geführt. Eine Frage ist: Führt dieses Dispensierrecht zu einem höheren Arzneimittelverbrauch? Wir haben auch Alternativen zum Dispensierrecht überprüft. Die Auswertung dieses Prozesses läuft noch.

Die Zeit: Andere Länder wie Holland oder Dänemark sind bei der Antibiotikareduzierung und Antibiotikakontrolle viel weiter. Sind das Vorbilder?

Schmidt: Diese beiden Länder sind in der Tat gute Adressaten. Ich war schon bei einer Schweinehaltung in Dänemark, vergangenen Sonntag habe ich mich bei unserem Tierwohlgipfel in den Niederlanden mit Ministerin Sharon Dijksmaa und Minister Dan Jørgensen darauf verständigt, dass wir uns über die jeweils beschrittenen Wege zur Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes eng abstimmen.

Die Zeit: Was für eine Rolle spielt die EU?

Schmidt: Die neue Kommission hat diese Frage auf der Agenda. Was Lebensmittel betrifft, haben wir einen gemeinsamen Markt mit gemeinsamen Standards für Lebensmittelsicherheit und Tiergesundheit. Und da müssen auch die Produktionsbedingungen vergleichbar sein. Denn sonst besteht die Gefahr, dass unterschiedliche Standards dazu führen, dass die Produktion verlagert wird. Das würde Probleme verschieben, sie aber nicht lösen. Das werden wir auch im G7-Rahmen ansprechen. Ich habe dies gerade in Washington mit meinem Kollegen Tom Vilsack erörtert. Eine so großzügige Verabreichung von Antibiotika im Tierbereich wie in den USA, zum Teil nicht mal verschreibungspflichtig und oft als reiner Wachstumsbeschleuniger, ist für uns nicht akzeptabel.

Die Zeit: Essen Sie selbst noch Fleisch aus der Massentierhaltung?

Schmidt: Aber natürlich. Die pauschale Kritik an der Tierhaltung ist mir zu billig, diese Vorstellung, dass die böse Massentierhaltung Ausgangspunkt für alles Böse ist. Das kann übrigens auch nur jemand sagen, der die Nutztierhaltung in den vergangenen Zeiten nicht gekannt hat. Ich erinnere mich noch an Zustände zu meiner Jugendzeit. Damals hatte ich als kleiner Bub immer zwei Schweine zu füttern, die sahen nie Tageslicht, waren angekettet und wurden jeden Tag mit Speiseresten beworfen. Und dann wurden sie geschlachtet. Das waren Zustände, die wurden damals von keinem einzigen Journalisten angeprangert.

Die Zeit: Sie sind in der Landwirtschaft aufgewachsen?

Christian Schmidt: Nein, in einer Bäckerei, mit einem kleinen landwirtschaftlichen Lagerhaus. Und was nicht verkauft wurde, bekamen die Schweine. Ich will sagen: Diese wohlfeile Kritik dient auch als Rechtfertigung für den, der dann doch beim Discounter billig einkauft. So kommen wir nicht weiter. Was uns weiterbringt, ist eine Diskussion über die Weiterentwicklung von Stallhaltungssystemen im Tierschutzsinn. Und genau das will ich tun.

Die Zeit: Ist das Fleisch in Deutschland zu billig?

Schmidt: Ich will unsere hohen Standards im Produktionssystem weiter steigern. Am Ende dieser Wertschöpfungskette steht der Verbraucher, der diese Entwicklung mit seinem Geldbeutel unterstützt. Denn es ist klar, mehr Tierschutz geht nicht ohne eine Steigerung des Kostenniveaus. Das Kilo Grillfleisch für 2,99 Euro – das geht nicht.

Die Zeit: Wäre es nicht ein Service für die Verbraucher, wenn Fleisch wie die Eier gekennzeichnet wäre, sodass jeder nachvollziehen könnte, woher das Fleisch kommt und aus welcher Tierhaltung?

Schmidt: Was die Herkunft betrifft: Die neue europäische Lebensmittel-Informationsverordnung sieht vor, dass ab April 2015 auf Schweine-, Schaf-, Ziegen- und Geflügelfleisch der Mast- und der Schlachtort angegeben werden müssen. Des Weiteren prüft die EU-Kommission eine vergleichbare Regelung für Fleisch in verarbeiteten Produkten. Was die Haltung der Tiere betrifft, gibt es eine freiwillige Kennzeichnung, das Tierschutzlabel nach Kriterien des Deutschen Tierschutzbundes. Für solche Produkte zahlen Verbraucher etwas mehr, können sich dann aber auf höhere Tierschutzstandards verlassen. Und der Deutsche Bauernverband verhandelt derzeit mit dem Handel, ob dieser einen Bonus pro verkauftem Kilo Fleisch zahlen würde, womit dann Stallhaltungssysteme und die Haltungsbedingungen für die Tiere über den gesetzlichen Standard hinaus verbessert werden sollen. Wir sind also bereits auf dem Weg.

Die Zeit: Herr Schmidt, Sie sind seit zehn Monaten Landwirtschaftsminister. Vorher waren Sie acht Jahre lang Staatssekretär im Verteidigungsministerium. Wie schwierig war Ihre Einarbeitungszeit?

Schmidt: (lacht) Ich konnte meinen Mitarbeitern immer noch nicht beibringen, dass sie "Jawoll, Herr Minister" rufen, wenn ich etwas sage. Es gab viele Nachtschichten an meinem Schreibtisch, für meine Mitarbeiter und mich. Es hat viel Zeit gekostet, mich in die Materie einzuarbeiten. Aber ich habe immer den Anspruch, zu wissen, wovon ich rede. Und vielleicht ist es ja gar nicht so schlecht, dass ich ein Stück weit von außen komme. So jemand kann vielleicht leichter etwas verändern.

Die Zeit: Es gibt Kritiker, die verzweifeln an der Macht des Systems aus Agrarfabriken, Bauern und Tierärzten: Am Ende gewinne immer das System.

Schmidt: Ich teile diese Einschätzung nicht. Ich kenne mich ein bisschen aus mit Systemen. In meiner alten Branche nannte man das den militärisch-industriellen Komplex, den es heute so nicht mehr gibt. In der Landwirtschaft bin ich noch dabei, auszuloten, wo die Vorteile und die Nachteile des Systems liegen. Ich glaube schon, dass die intensive Landwirtschaft an manchen Orten an Grenzen stößt. Das reine Prinzip von Effizienz und Ertragsmaximierung greift da nicht mehr.

Die Zeit: Was halten Sie von der Agrarwende, die die Grünen fordern?

Schmidt: Das ist ein Kampfbegriff, der eignet sich gut für Demonstrationen – und bringt einen nicht weiter. Ich bin überzeugt, dass sich die landwirtschaftliche Produktion in Deutschland ändern muss und dass dies zu schaffen ist, auch ohne die Produktion außer Landes zu treiben.

Die Zeit: Was war in Ihrem Amt bisher die größte Überraschung für Sie?

Christian Schmidt: Wie sehr die Landwirte inzwischen das Gefühl haben, an den Rand der Gesellschaft gedrückt zu werden. Das ist keine gute Entwicklung, da müssen wir entgegenwirken.

Das Gespräch wurde für Die Zeit geführt.