Im Wortlaut: Merkel
Dieser Gipfel wird keine Eintagsfliege
Die G7 greifen viele Themen auf, die unser Zusammenleben in einer globalisierten Welt gestalten und vielen Menschen am Herzen liegen, betont die Kanzlerin im Interview mit dem Münchner Merkur. Zwar könne kein Problem bei einem einzigen Gipfel umfassend gelöst werden, "aber wir können wichtige Initiativen ergreifen, Prozesse einleiten."
Quelle: Bundesregierung/Bergmann
Münchner Merkur: Frau Bundeskanzlerin, wenn Sie an Elmau denken: Erwarten Sie ein friedliches Gipfelschlösschen oder eine hochgerüstete Festung?
Merkel: Elmau wird ein bestens vorbereiteter Gipfelort sein, mit guten Arbeitsbedingungen für Politiker wie für Journalisten. Natürlich wird es die nötigen Sicherheitsvorkehrungen geben, um einerseits das Recht auf friedliche Demonstration und andererseits die Sicherheit des Gipfels und der Bürger zu gewährleisten. Die Schönheit des Werdenfelser Landes wird sich trotzdem allen erschließen.
Einige Bürger, das schreiben uns auch viele Leser, verstehen den extremen Aufwand nicht: gut 20.000 Polizisten, ein eigens gebauter Hubschrauber-Landeplatz, gesperrte Autobahnen, Ausgaben von mindestens 130 Millionen Euro. Können Sie den Zorn von Bürgern nachvollziehen, die vom "Gipfel der Maßlosigkeit" reden?
Wir achten bei der Durchführung dieses Gipfels darauf, dass wir nicht mehr als den nötigen Aufwand betreiben, also maßvoll bleiben und vor allem die Bürger in ihrem Alltag möglichst wenig belasten. Auch die Naturschutzauflagen nehmen wir sehr ernst. Bei den Kosten bedenken Sie bitte, dass auch nicht wenige Investitionen getätigt worden sind, von denen die Gemeinden dauerhaft etwas haben. Natürlich gibt es bei einem solchen Großereignis auch unvermeidliche Einschränkungen, weil es leider auch Personen gibt, die gewaltbereit sind.
Macht’s Bayerns Polizei besser als die Kollegen damals in Heiligendamm - und war die bayerisch-konsequente Linie ein Faktor bei der Ortswahl?
Nein, und auch in Heiligendamm haben die Polizistinnen und Polizisten ihren Dienst sehr gut gemacht.
Was ist Ihre Botschaft an die Gegendemonstranten? Und an gewaltbereite Chaoten, offenbar planen ja Extremisten den Sturm auf den Gipfel?
Meine Botschaft ist, dass wir froh sein können, in einer demokratischen Gesellschaft zu leben, in der jeder die Freiheit zur friedlichen Meinungsäußerung genießt. Ich wünsche mir Demonstrationen ohne Gewalt und Zerstörung. Ich möchte, dass wir uns als tolerantes Land zeigen, in dem viele Meinungen friedlich geäußert und gehört werden. In der G7 greifen wir viele Themen auf, die unser Zusammenleben in einer globalisierten Welt gestalten und vielen Menschen am Herzen liegen.
Horst Seehofer sagt, Sie hätten ihm den idyllischen Gipfelort Elmau angeboten, er habe spontan zugesagt. Woher hatten Sie die Idee? Ein Gedanke beim Wandern?
Der Ort wurde nach verschiedenen Kriterien ausgesucht. Ich habe mich gefreut, weil Elmau und die ganze Gegend wunderschön sind. Ich war schon vor vielen Jahren das erste Mal auf einer Tagung dort.
Sich zusammenzusetzen im digitalen Zeitalter - braucht’s das noch in dem Ausmaß?
Ja. Keine Videokonferenz kann einen Gipfel mit seinen ausführlichen und intensiven Gesprächen ersetzen. In Elmau sitzen nicht nur die Vertreter von sieben großen Demokratien zusammen und diskutieren, dazu kommen noch mehrere afrikanische Regierungschefs und die Chefs der Weltorganisationen. Das ergibt eine Vernetzung von Gedanken und Ideen, die es leichter macht, gemeinsame Lösungen für die Probleme zu finden. In der Geschichte sind Konflikte meist dadurch entstanden, dass man zu wenig miteinander geredet hat – nicht zu viel.
Was sind für Sie die drei wichtigsten Gründe, warum der Gipfel unabdingbar ist?
Wie gerade gesagt, alle um einen runden Tisch zu haben, ist ein Wert an sich. Wir haben weit mehr als drei wichtige Themen auf der Tagesordnung. Ich nenne nur wenige Stichworte: eine nachhaltige Entwicklung der Weltwirtschaft, den Freihandel, die Klimapolitik, die Bekämpfung von Hunger und Armut, Sozialstandards in der weltweiten Produktion, Berufsförderung für Frauen in den Entwicklungsländern. Hervorheben will ich, dass wir diesmal eine eigene Arbeitssitzung zur Herausforderung durch den internationalen Terrorismus haben. Regierungschefs aus Tunesien, Nigeria und Irak werden uns berichten, wie sie tagtäglich mit den Terrororganisationen IS und Boko Haram zu kämpfen haben. Sehr wichtig wird für uns auch die Frage sein, wie wir nach den Erfahrungen mit der Krankheit Ebola weltweit besser auf solche Epidemien reagieren können. Wie man sah, kann uns alle so etwas sehr schnell erreichen, deshalb habe ich die globale Gesundheitspolitik zu einem Gipfel-Schwerpunkt gemacht.
Wird es ein Gipfel der Symbolpolitik – oder wird es konkret?
Kein Problem kann bei einem einzigen Gipfel umfassend gelöst werden, aber wir können wichtige Initiativen ergreifen, Prozesse einleiten, die später dann noch mehr Unterstützer finden. Natürlich bemühen wir uns um konkrete Beschlüsse, zum Beispiel beim schon erwähnten Kampf gegen Epidemien oder beim Thema Antibiotikaresistenzen, einer der ganz großen medizinischen Gefahren. Auf beide Themen haben wir uns monatelang mit unseren G7-Partnern vorbereitet. Deutschland, Norwegen und Ghana haben eine UNO-Arbeitsgruppe durchgesetzt, um Lehren aus der Ebola-Krise zu ziehen. Ich selbst war bei der Weltgesundheitsorganisation, habe mit Wissenschaftlern, Nichtregierungsorganisationen und Pharmakonzernen gesprochen. In Elmau wollen wir diese Vorarbeiten zusammenführen und uns darauf verständigen, gemeinsam zu forschen und Standards zu setzen. Die Arbeit geht also nach Elmau weiter, der Gipfel wird keine Eintagsfliege sein.
Offiziell steht das Thema Flüchtlinge, das die Menschen – gerade in Bayern – enorm beschäftigt, nicht auf der Agenda. Reden Sie dennoch darüber?
Wenn wir über Gefahren durch Terrorismus oder über Armut sprechen, dann steht dies mit auf der Tagesordnung, denn beides sind Fluchtursachen. Wenn wir im Augenblick so viele Menschen aus dem Mittelmeer retten müssen, so tun wir damit ja noch nichts gegen die Gründe für ihre Flucht. Deshalb ist es so wichtig, dass die G7 sich nicht nur mit der Wirtschaft beschäftigen, sondern mit Entwicklungszielen und mit der Frage, wie wir unsere Entwicklungshilfe noch wirksamer einsetzen, damit Menschen ein würdiges Leben führen können und nicht in Scharen ihre Heimat verlassen.
Deutschland nimmt sehr viele Flüchtlinge auf. Wie nahe sind wir an der Belastungsgrenze?
Zu uns kommen so viele Menschen, wie wir das viele Jahre nicht gekannt haben. Aber wenn Bund, Länder und Gemeinden vernünftig an einem Strang ziehen, können wir damit fertig werden. Ich habe jedenfalls großen Respekt vor den vielen Bürgern, die sich ehrenamtlich für die Flüchtlinge hier bei uns einsetzen.
Eine Verteilungs-Quote würde in Europa helfen. Viele andere Staaten wehren sich dagegen. Wie boxen Sie das durch?
Es wird eine sehr schwierige Diskussion in Europa werden, bis wir eine faire Lösung haben, an der sich alle gemäß ihren Möglichkeiten beteiligen. Ich bin der Europäischen Kommission für ihren Vorschlag dankbar. Die derzeitige Praxis ist jedenfalls nicht hinnehmbar. Einige wenige Länder schultern einen Großteil der Belastung, andere tun weniger als sie können. Das können unsere Bürger zu Recht nicht verstehen.
Foto: Bundesregierung/Bergmann
Brauchen wir Asylzentren, um die Flüchtlingsströme zu bündeln? Und: Sehen Sie die in Südeuropa oder bereits in Nordafrika?
In erster Linie sollten wir darüber nachdenken, Asylbewerbern dort direkt zu helfen, wo sie in großer Zahl ankommen. Außerdem müssen wir uns weiter bemühen, die Asylverfahren zu beschleunigen. Die Leitlinie dabei sollte sein, dass es kein Bleiberecht gibt, wenn kein Asylgrund vorliegt. Dann sollte die Rückführung in die Heimatländer schnell erfolgen, bevor eine Rückkehr nach zu langem Aufenthalt außerhalb der Heimat zu persönlichen Dramen führt.
Die wichtigsten Europäer sind in Elmau dabei. Ein Thema am Rande wird sicherlich Griechenland sein. Kann sich Ministerpräsident Tsipras auf Ihre Engelsgeduld verlassen?
Es ist richtig, dass wir uns um eine Einigung bemühen. Aber unser Prinzip ist immer: Solidarität in Europa und die Übernahme von Eigenverantwortung sind zwei Seiten ein und derselben Medaille. Das weiß Alexis Tsipras.
Sie glauben noch an eine Chance auf einen allerletzten Kompromiss?
Ich arbeite für ein für Griechenland und die Eurozone insgesamt vertretbares Ergebnis.
Blicken wir nochmal auf den Gipfel: Der russische Präsident Putin ist ausgeladen. Manche Politiker und Teile der Wirtschaft sagen: schade. Wird er nächstes Mal dabei sein?
Eine Teilnahme des russischen Präsidenten ist zur Zeit nicht vorstellbar. Als G7 fühlen wir uns rechtsstaatlichen und völkerrechtlichen Grundwerten verpflichtet. Dazu gehört die Achtung der Grenzen eines Landes. Durch die völkerrechtswidrige Annexion der Krim ist dieses Prinzip von Russland verletzt worden. Das heißt nicht, dass ich nicht immer wieder Kontakt zu Wladimir Putin halte. Ich bin zum Beispiel fest überzeugt, dass wir ohne Russland der Tragödie des syrischen Bürgerkriegs nicht beikommen werden.
Sie treffen auf den US-Präsidenten. Sprechen Sie ihn direkt an auf den Wirbel um die Geheimdienste?
Darüber sind die Zuständigen beider Länder in engem Kontakt. Beim G7-Treffen stehen für mich andere Themen im Vordergrund.
Gibt es ein Vier-Augen-Gespräch?
Ja, ganz sicher, wie auch mit den anderen fünf Kollegen.
Hat das transatlantische Verhältnis Kratzer?
Die Partnerschaft mit den Vereinigten Staaten ist für uns und unsere Sicherheit von herausragender Bedeutung, auch wenn es unterschiedliche Haltungen zur Arbeit der Nachrichtendienste gibt. Deutsche und Amerikaner sind engste Partner und Freunde.
Zum Schluss: Sie sind Gipfel-Profi. Verraten Sie uns: Wenn alle Türen zu sind, die Kameras draußen: Wie gehen die Staatschefs miteinander um?
Man spricht sehr offen, respektiert unterschiedliche Meinungen. Das kleine Format ermöglicht eine intensive Diskussion. Da werden nicht Sprechzettel verlesen, da wird aufeinander reagiert. Stellen Sie sich das recht lebendig vor. Das schätze ich an diesen Gipfeln.
Mit welchen Staatschefs pflegen Sie das Du?
Wir nennen uns alle beim Vornamen.
Interview: Bettina Bäumlisberger und Christian Deutschländer für den Münchner Merkur.