Im Wortlaut: Merkel zu G7
"Motor für eine lebenswerte Welt"
Das G7-Treffen ist mehr als Krisendiplomatie, schreibt Bundeskanzlerin Merkel kurz vor dem Gipfel in einem Zeitungsbericht. In Elmau gehe es auch um die Frage, wie Wohlstand für möglichst viele Menschen erreicht werden könne.
Quelle: Bundesregierung/Bergmann
Die Staats- und Regierungschefs der sieben führenden Industrienationen kommen am 7. und 8. Juni in Deutschland zusammen, um über die drängendsten globalen Herausforderungen zu sprechen. Die G7 verbindet mehr als Wohlstand und Wirtschaftskraft: Sie teilen die Werte Freiheit, Demokratie und Menschenrechte. Wer am Sinn solcher Gipfeltreffen zweifelt, muss nur auf die gegenwärtigen Krisenherde schauen, um die Notwendigkeit, ja die Pflicht zu intensiver gemeinsamer Lösungssuche zu erkennen.
Wer hätte es für möglich gehalten, dass 25 Jahre nach dem Ende des Kalten Krieges die europäische Friedensordnung durch die Annexion der Krim in Frage gestellt wird? Dass die Verbreitung des Ebola-Virus mehrere afrikanische Staaten destabilisieren und in ihrer Entwicklung wieder zurückwerfen kann? Dass im Nahen Osten eine islamistisch-terroristische Organisation danach strebt, auf dem Gebiet zweier Staaten ein sogenanntes "Kalifat" zu errichten? Schon diese wenigen Beispiele - und sie alle werden auf unserer Tagesordnung stehen - zeigen, dass globale Herausforderungen internationale Antworten erfordern.
Dieses G7-Treffen ist allerdings viel mehr als Krisendiplomatie. Es ist natürlich, wie immer seit den Ursprüngen des Formats, eine Gelegenheit, um über die Lage der Weltwirtschaft zu diskutieren. Unsere Ziele sind nachhaltiges und werteorientiertes Wachstum und Wohlstand für möglichst viele Menschen. Zu erreichen ist das nur in offenen Wirtschaftssystemen, mit einem hohen Maß an Investitionen und mit einem gestärkten internationalen Handel auf der Basis hoher sozialer und ökologischer Standards. Die G7 unterstützen daher die Welthandelsorganisation auf dem Weg zu einem möglichst raschen Abschluss der Doha-Runde. Genauso müssen wir aber bei den laufenden Verhandlungen von Freihandelsabkommen zwischen den G7-Partnern schnell vorankommen.
Die Agenda der deutschen G7-Präsidentschaft ist stark auf die zwei großen Aufgaben ausgerichtet, vor denen die Weltgemeinschaft 2015 steht. Die erste wird im Herbst zu lösen sein, wenn bei den Vereinten Nationen neue Ziele für nachhaltige Entwicklung festgelegt werden. Das wird auf Jahre die Weichen der internationalen Entwicklungspolitik stellen. Die G7, davon bin ich überzeugt, sollten sich jetzt dazu bekennen, den Hunger und die absolute Armut bis 2030 auszulöschen. Nur wenn es uns gelingt, die Ernährung einer stetig wachsenden Weltbevölkerung zu sichern, werden andere Entwicklungsschritte eine Chance haben.
Die zweite globale Großaufgabe ist der Klimaschutz. Mit der Konferenz von Paris im Dezember verbindet sich zum ersten Mal seit Jahren wieder die Hoffnung auf ein Klimaabkommen, in dem sich alle, auch die Schwellenländer, auf eine Reduzierung ihrer Emissionen verpflichten. Wir könnten damit dem Ziel näher kommen, den globalen Temperaturanstieg auf zwei Grad zu begrenzen - alle Experten sagen uns, dass wir ihn nur so in einem beherrschbaren Rahmen halten können.
Die G7 sollten bei dem notwendigen Übergang zu einem kohlenstoffarmen Wirtschaften Vorreiter sein. Als Industriestaaten müssen wir zu der 2009 in Kopenhagen gemachten Zusage stehen, ab 2020 jährlich 100 Milliarden Dollar für Anpassung und Klimaschutz in Entwicklungsländern bereitzustellen. Deutschland wird seine Mittel für diesen Zweck zwischen 2014 und 2020 verdoppeln. Ich hoffe bis Paris auf ähnlich konkrete Zusagen anderer Länder.
Die G7 haben immer wieder Verantwortung für die Gesundheit der Weltbevölkerung übernommen. Deshalb werden wir in Elmau auch über die Bekämpfung vernachlässigter Tropenkrankheiten oder über das gefährlich zunehmende Problem der Antibiotikaresistenzen sprechen. Ich habe zu Beginn die schwere Heimsuchung mehrerer afrikanischer Länder durch Ebola erwähnt. Noch immer ist sie nicht ganz überwunden. In Elmau werden wir zusammen mit Gästen aus betroffenen Ländern und internationalen Organisationen beraten, wie wir auf solche Epidemien besser vorbereitet sein können, wie wir sie verhindern beziehungsweise wie wir im Falle eines Ausbruchs besser und schneller reagieren. Der Aufbau einer weltweiten Taskforce mit einem schlüssigen Gesamtkonzept und ausreichender Finanzierung ist sicherlich ein mittelfristiges Ziel, aber ins Auge fassen sollten wir es jetzt.
Ein weiterer Schwerpunkt unserer deutschen Präsidentschaft ist das Thema der guten Arbeit weltweit. Die tragischen Bilder vom Unglück in der Textilfabrik "Rana Plaza" in Bangladesch vor zwei Jahren stehen uns noch vor Augen. Ich möchte, dass wir uns als G7 das Ziel setzen, die Zahl von Arbeitsunfällen in Unternehmen entlang der sogenannten Lieferkette deutlich zu reduzieren und Maßnahmen zur Vorbeugung und zum besseren Arbeitsschutz zu ergreifen. Diese Lieferketten müssen wesentlich transparenter werden. Immer mehr Menschen wollen wissen, unter welchen Bedingungen Kleidung und Lebensmittel hergestellt werden, und richten ihre Kaufentscheidung danach aus.
Wenn wir über Arbeit sprechen, müssen wir über die Möglichkeiten sprechen, die Frauen weltweit haben, sich durch sichere und qualifizierte Arbeit Selbständigkeit und Aufstiegsmöglichkeiten zu verschaffen. Alle Daten zeigen, dass Armut und Ungleichheit zurückgehen, wenn mehr Frauen aktiv am Wirtschaftsleben teilnehmen. Derzeit sind aber nur rund 50 Prozent aller Frauen erwerbstätig. In vielen Entwicklungsländern ist noch dazu die große Mehrheit derer, die Arbeit haben, prekär oder informell beschäftigt. In der G7 wollen wir uns daher das Ziel setzen, mehr Mädchen und Frauen in Entwicklungsländern eine berufliche Ausbildung zu ermöglichen.
Für alle Themen, die ich genannt habe gilt: Allein als G7 können wir diese Herausforderungen nicht bewältigen, wir werden viele weitere Partner dafür brauchen. Doch ich bin überzeugt, dass die G7 der Motor für eine auch langfristig lebenswerte Welt sein können, ja sein müssen. Ich setze mich dafür ein, die globale Wirtschaft und das globale Zusammenwachsen so zu gestalten, dass sich die Lebensbedingungen aller Menschen auf der Welt verbessern - politisch, wirtschaftlich, sozial und ökologisch. Wir müssen uns für Frieden, Freiheit und Sicherheit einsetzen. Das ist der Mehrwert, der von Treffen der G7 eingefordert werden kann. Das ist der Maßstab, an dem wir unser Handeln messen lassen sollten.
Der Beitrag erschien in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.